Nefs Triebseele

Satan und die Triebseele

von Frank Abdullah Bubenheim

Wir müssen zwischen dem Teufel oder Satan, bei dem es sich um eine große Zahl von Individuen handelt, die auf den Stammvater Iblis zurückgehen, bzw. den ungläubigen Dschinnen und der Triebseele (arab. = nafs , griech. = Psyche) unterscheiden. Der Satan bedient sich bei der Verführung eines Menschen meistens dessen Triebseele. Diese ist von Natur aus nicht böse, sondern leichtsinnig, nachlässig, neugierig und verspielt, und sie wiederum versucht, den Menschen davon zu überzeugen, ihren Wünschen und Neigungen nachzugeben, anstatt der Vernunft zu gehorchen. Wenn bspw. jemand am PC arbeitet, dann langweilt sich die Nafs bei dieser Arbeit und versucht den Menschen dazu zu bewegen, seine Arbeit z.B. mit Computerspielen zu unterbrechen: nur einmal kurz ein Spielchen zur Entspannung. Diese Situation nützt der Satan aus und treibt die Nafs dazu an, ihren Besitzer dazu zu verleiten, noch ein weiteres Spiel anzufangen, wenn er beim erstenmal nicht gewonnen hat, und wenn ihm dieses Spiel zu langweilig geworden ist, ein interessanteres und aufregenderes anzufangen. Auf diese Weise kann der Satan mit Hilfe der Nafs den Menschen dazu bringen, seine kostbare Arbeitszeit zu vergeuden und ihm dadurch Schaden zufügen. Manche Menschen, bzw. ihre Nafs, sind gegen Spiele immun, haben dafür aber vielleicht eine andere schwache Stelle, wie bspw. Chatten, so daß der Satan sie mittels ihrer Nafs dazu verleiten kann, mit fremden Frauen zu chatten. Vielleicht vereinbart dieser Mensch dann mit einer der Frauen sogar ein Treffen und trifft sich mit ihr persönlich … und dann macht der Satan immer weiter, bis der Mensch Unzucht und somit eine große Sünde begeht.

In Bukharis und Muslims Sahi-Sammlungen wird von Anas überliefert, daß er sagte: „Gewiß, der Teufel fließt dem Adamskind (im Sinn) wie Blut (in den Adern).“ Und ebenfalls in den beiden Sahi-Sammlungen wird von Safiyya, einer der Ehefrauen des Propheten – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – überliefert, daß sie sagte: „Allahs Gesandter – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – hatte sich zur Andacht in die Moschee zurückgezogen, und da kam ich nachts zu ihm, um ihn zu besuchen. Nachdem ich ein Gespräch mit ihm hatte, stand ich auf, um zurückzukehren. Er stand ebenfalls auf, um mich zu meiner Wohnung zu bringen, die im Hause von Usama ibn Zaid war. Zwei Männer von den Ansar kamen vorüber, und als sie den Propheten – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – sahen, eilten sie weg. Da sagte der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil: ,Langsam! Es ist Safiyya bint Huyayy (d.h., meine Ehefrau).‘ Sie erwiderten: ,Preis sei Allah, o Allahs Gesandter! (Wie konnten wir dich verdächtigen?)‘ Er sagte: ,Gewiß, der Teufel fließt dem Menschen (im Sinn) wie Blut (in den Adern), und gewiß, ich fürchtete, daß er in eure Herzen böse Gedanken eingibt.'“

Beherrschen kann der Teufel nur diejenigen Menschen, die an seinen Gedanken Wohlgefallen finden und ihm zufrieden und freiwillig folgen: „Gewiß, über Meine Diener hast du keine Macht, außer wer dir von den Verirrten folgt.“ [Qur’an, 15, 42] Und am Tage der Auferstehung wird der Teufel zu seinen Anhängern sagen, die er in die Irre geführt und zugrunde gerichtet hat: „Und ich hatte keine Macht über euch, außer daß ich euch gerufen habe und ihr auf mich gehört habt.“ [Qur’an, 14, 22]

Die Macht, die dem Teufel über die Menschen gegeben ist, sie zu beherrschen, besteht darin, daß er sie in Verwirrung stürzen und abirren lassen kann, indem er sie zum Unglauben und Götzendienst aufreizt und drängt und sie sich nicht von ihm abwenden läßt, wie Allah, der Erhabene, sagt: „Siehst du nicht, daß Wir die Satane gegen die Ungläubigen gesandt haben, damit sie sie heftig aufreizen?“ [Qur’an, 19, 83]

Hinsichtlich der Macht des Teufels über seine Gefolgsleute haben diese weder einen Vorwand noch einen stichhaltigen Beweis, sondern sie sind einfach nur seiner Einladung an sie gefolgt, weil sie ihren Neigungen und Zwecken entsprach. Sie selbst sind es, die ihm gegen sich geholfen und ihrem Feind ermöglicht haben, Macht über sie zu gewinnen, indem sie ihm zugestimmt haben und ihm gefolgt sind. Als sie ihm ihre Hände reichten und sich ihm ergaben, wurde ihm als Strafe für sie die Herrschaft über sie gegeben. Allah gibt dem Teufel keine Macht über den Menschen, solange der Mensch ihm durch seinen Gehorsam gegen ihn und seinen Götzendienst an ihm keinen Zugang dazu ermöglicht. Dann erst gibt Allah ihm über ihn Herrschaft und Gewalt.

Gelingt es dem Teufel nicht, die Menschen von Taten des Gehorsams abzuhalten, dann bemüht er sich, die gottesdienstliche Handlung oder die Gehorsamstat zunichte zu machen, damit er die Menschen um den Lohn dafür bringt. So kam der Prophetengefährte ´Uthman ibn Abi l-´Ass zum Propheten – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – und sagte: „O Allahs Gesandter, der Teufel tritt ja zwischen mich und mein Gebet und meine Qur’an-Rezitation und bringt mich darin durcheinander.“

Da antwortete Allahs Gesandter – Allah segne ihn und gebe ihm Heil: „Das ist das Werk eines Teufels namens Khinzab. Wenn du ihn (d.h.: sein Wirken) wahrnimmst, dann suche deine Zuflucht zu Allah vor ihm und spucke (bei diesem Spucken handelt es sich um Pusten oder leichtes Blasen, jedoch ohne dabei Speichel auszustoßen) dreimal nach links.“ ´Uthman ibn Abi l-´Ass sagte: „Das tat ich, und da ließ Allah ihn von mir verschwinden.“

Tritt der Gottesdiener in sein Gebet ein, dann sinnt sich der Teufel eine List gegen ihn aus und flüstert ihm ein, lenkt ihn vom Gehorsam gegen Allah ab und erinnert ihn an weltliche Dinge. So wird in Bukharis Sahihvon Abu Huraira – Allah habe Wohlgefallen an ihm – überliefert, daß Allahs Gesandter – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – sagte: „Wenn zum Gebet gerufen wird, geht der Teufel weg, wobei er einen geräuschvollen Darmwind fahren läßt, damit er den Gebetsruf nicht hört. Ist der Ruf zu Ende, kommt er wieder her. Wenn dann zur Aufstellung zum Gebet gerufen wird, geht er erneut weg. Wenn diese dann beendet ist, kommt er wieder her, um zwischen dem Menschen und seiner Triebseele hinundher zu pendeln. Er sagt: ,Denke an dies, denke an jenes!‘ – an Dinge, an die der Mensch zuvor nicht dachte -, bis der Mensch nicht mehr weiß, wieviel er gebetet hat.“

Der Schluß, zu dem wir kommen, ist, daß die Teufel zu allem Bösen anhalten und dazu anspornen, von allem Guten abhalten und einen sich davor fürchten lassen, damit man ersteres begeht und letzteres unterläßt. So sagt Allah, der Erhabene: „Der Satan verspricht euch Armut und befiehlt euch Schändliches. Allah aber verspricht euch Vergebung von Sich aus und Huld.“ [Qur‘ an, 2, 268] Wenn der Teufel uns Armut verspricht, dann geschieht das, indem er uns mit Armut droht, uns Armut voraussagt, wenn wir von unserem Besitz spenden. Wenn er uns Schändliches befiehlt, dann geschieht das, indem er uns zu jeder schlechten Tat anhält, zu Geiz, Unzucht und dergleichen.

Ibn Qayyim al- Dschauziyya sagt: „Zu den Listen des Satans gehört, daß er den Verstand stets betört, um ihn zu täuschen, und von seiner Betörung bleibt nur verschont, wen Allah verschonen will. So malt der Teufel dem Menschen die Handlung, die ihm schadet, in verlockenden Farben aus, bis er es ihm so erscheinen läßt, als wäre es die nützlichste Sache, und läßt ihn von der Handlung zurückschrecken, die für ihn am nützlichsten ist, bis er es ihm so erscheinen läßt, als würde sie ihm schaden. Es gibt keinen Gott außer Allah! Wie viele Menschen sind schon durch diese Betörung der Versuchung erlegen! Und wie Vieles ist trennend zwischen das Herz und den Islam, den Glauben und das rechte Tun getreten! Und wie viele Male hat der Teufel das Falsche herausgestellt und es in richtig erscheinender Gestalt hervortreten lassen und die Wahrheit verunglimpft und in zu missbilligender Gestalt herausgebracht! Und wie manche Falschheit hat er den Kritikern in eitlem Glanz erscheinen lassen, und wieviel Falschgeld hat er unter den Kennern der Wahrheit in Umlauf gebracht!

Er ist es, der den Verstand betört, bis er seine Besitzer in die verschiedensten Neigungen und abgezweigtesten Meinungen stürzt, mit ihnen jeden nur so irrigen Abweg geht, sie von einer Gefahr in die andere stürzt und ihnen die Verehrung von Götzenbildern, den Abbruch von Verwandtschaftsbanden, das Lebendigbegraben von Töchtern und die Ehe mit den eigenen Müttern in verlockenden Farben erscheinen läßt und ihnen den erfolgreichen Eintritt ins Paradies verspricht, trotzdem sie die Attribute und die Größe des erhabenen Herrn verleugnen, und daß Er durch Seine Bücher geredet hat…“

Auf diesem Weg überlistete Iblis, der Verfluchte, Adam – Friede sei auf ihm -, als er es ihm in verlockenden Farben ausmalte, von dem ihm von Allah verbotenen Baum zu essen. Er behauptete ihm gegenüber, dieser wäre der Baum des ewigen Lebens, und daß der Genuß von seinen Früchten ihm das ewige Leben im Paradies verliehe, oder daß er dadurch einer der Engel würde, solange, bis er ihm zu Willen war, was dann zu seiner Vertreibung aus dem Paradies führte.

Sehen wir uns die Gefolgsleute des Teufels heute an, wie sie diesen Weg beschreiten, um die Menschen in die Irre zu führen:

Da waren die Rufe zu Kommunismus und Sozialismus, von denen sie behaupteten, es wären die Ideologien, die die Menschheit von Ratlosigkeit, Besorgnis, Untergang und Hunger erlösten. Und da sind diese Rufe dazu, die Frau solle im Namen der Freiheit halbnackt in der Öffentlichkeit auftreten, um zu dieser absurden Darstellung einzuladen, durch die die Würde und die Moral mit Füßen getreten und im Namen der Kunst die unverletzlichen Dinge verletzt werden.

Und da sind die vergifteten Gedanken, die dazu auffordern, das Geld in Banken für Zinsen anzulegen, um im Namen von Wachstum großen Gewinn zu machen.

Und da sind die Rufe, die behaupten, das Festhalten an der Religion bedeute Rückschritt, Erstarrung und Rückständigkeit, und die diejenigen, die zum Islam einladen als Verrückte und als Agenten der Länder in Ost und West bezeichnen usw.

Das alles ist eine Verlängerung des Weges des Teufels, auf dem er schon vor langem Adam überlistete, nämlich, das Falsche auszuschmücken und als gut darzustellen und das Schlechte als wahr erscheinen zu lassen und es den Menschen verhaßt zu machen: „Bei Allah, Wir haben bereits Propheten zu Gemeinschaften vor dir gesandt. Da schmückte ihnen der Satan ihre Taten aus.“ [Qur’an, 16, 63]

Und er ist – bei Allah – ein gefährlicher Weg, weil der Mensch, wenn ihm das Falsche in verlockenden Farben dargestellt wird und er es so sieht, mit voller Kraft losstürzt, um zu verwirklichen, was er als Wahrheit sieht, auch wenn darin sein Untergang liegt: „Sag: Sollen Wir euch Kunde geben von denjenigen, die an ihren Werken am meisten verlieren, * deren Bemühen im diesseitigen Leben fehlgeht, während sie meinen, daß sie gut handeln würden?“ [Qur’an, 18, 103]

Solche Menschen gehen blindlings los, um andere von Allahs Religion abzuhalten und um Allahs Gefolgsleute zu bekämpfen, während sie glauben, sie selbst folgten der Wahrheit und der Rechtleitung: „Und sie halten sie wahrlich vom Weg ab, und diese meinen, sie seien rechtgeleitet.“ [Qur’an, 43, 37]

Aus diesem Grunde bevorzugen die Ungläubigen die diesseitige Welt und wenden sich von der jenseitigen ab, wie Allah, der Erhabene, sagt: „Und Wir hatten ihnen Gesellen verschafft, die ihnen dann ausschmückten, was vor ihnen und was hinter ihnen lag.“ [Qur’an, 41, 25] Bei den Gesellen handelt es sich um die Teufel, die den Menschen in verlockenden Farben erscheinen lassen, was an weltlichen Dingen vor ihnen ist, so daß sie ihm den Vorzug geben, und fordern sie dazu auf, das Jenseits für Lüge zu erklären. Das schmücken sie ihnen so sehr aus, daß sie die Auferweckung, die Abrechnung und das Paradies und die Hölle leugnen.

Der Teufel hat seine Methoden und Wege, um die Menschen zur Faulheit zu verführen. So wird in al-BukharisSahivon Abu Huraira überliefert, daß Allahs Gesandter – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – sagte: „Wenn einer von euch schläft, macht der Satan drei Knoten auf seinen Nacken, indem er jeden Knoten schließt mit: ,Du hast eine lange Nacht, so schlafe!‘ Wenn er dann aufwacht und Allahs, des Erhabenen, gedenkt, löst sich ein Knoten; wenn er dann die rituelle Waschung vollzieht, löst sich ein weiterer Knoten; und wenn er dann betet, haben sich alle seine Knoten gelöst. So ist er am Morgen munter und in guter Stimmung; andernfalls ist er am Morgen in schlechter Stimmung und träge. „

Ibn Qayyim al- Dschauziyya sagt zu diesem Thema: „Gewiß, der Teufel fließt dem Adamskind im Sinn wie Blut in den Adern , bis er sich mit seiner Triebseele deckt und sie befällt und sie danach fragt, was sie liebt und bevorzugt. Wenn er das herausgefunden hat, bedient er sich ihrer Hilfe gegen den Menschen und dringt in ihn durch dieses Zugangstor ein. Ebenso unterrichtet er seine Brüder und seine Gefolgsleute von den Menschen, wenn sie ihre verdorbenen Ziele aneinander verfolgen wollen, wie sie durch das Zugangstor dessen in sie eindringen können, was jene lieben und begehren, denn es ist ein Zugangstor, das keinen hinsichtlich seines Anliegens enttäuscht, der durch es eindringt. Wer aber durch ein anderes hineinzugelangen wünscht, dem bleibt jenes verschlossen; über seine eigene Absicht weist es ihn nämlich zurück…

…Die Teufel umstellen den Gottesdiener als seine Feinde. Was denkst du von jemandem, den seine Feinde umstellt haben, in Wut über ihn verbittert, und ihn umzingelt haben. Jeder von ihnen wirkt mit Bösem und Schaden auf ihn ein, womit er vermag, und es gibt kein Mittel, ihre Schar von ihm zu zerstreuen, außer durch Allahs, des Allmächtigen und Erhabenen, Gedenken…

…Der Teufel dringt in den Menschen durch die Zugangstore seiner Triebseele und seiner Charaktereigenschaften ein. Er macht sich seine Seele zugeneigt, da er zu ihr mit dem eindringt, was sie gern hat. So steht er zusammen mit der Triebseele und den Neigungen gegen den Menschen: drei, die Druck ausüben und befehlen. Sie treiben die Glieder, ein gelenktes Werkzeug, an, um ihr Anliegen zu erfüllen. Sie können nicht anders, als daß sie sich antreiben lassen. So verhält es sich mit den drei Antreibern und den Gliedern, die nicht aufhören, ihnen Gehorsam zu leisten, wie es ihnen befohlen wird, und wohin sie gelenkt werden.

Das ist die Lage des Menschen. Doch die Barmherzigkeit seines allmächtigen und zu ihm gütigen Herrn erfordert es, daß dieser ihn mit einer anderen Heerschar unterstützt und ihm an­dere Verstärkung schickt, mit der er jenem Heer, das ihn zugrunde richten will, Widerstand leisten kann. So hat Er zu ihm Seinen Gesandten geschickt, ihm Sein Buch offenbart und ihn mit einem edlen Engel unterstützt, der seinem Feind, dem Teu­fel, entgegentritt. Erteilt ihm der Teufel eine Anweisung, so erteilt ihm der Engel eine andere Anweisung von seinem Herrn und legt ihm dar, welches Verderben ihm droht, wenn er seinem Feind gehorcht. Einmal überkommt ihn dieser und ein anderes Mal überkommt ihn jener, doch der Siegreiche ist derjenige, dem Allah, der All­mächtige und Erhabene, zum Sieg verhilft, und der Bewahrte ist derjenige, den Allah, der Erhabene, bewahrt.

Allah hat dem Menschen als Gegenstück seiner „befehlenden Seele“ die „beruhigte Seele“ (es handelt sich um verschiedene Zustände der Psyche = Nafs) gegeben. Befiehlt ihm seine befehlende Seele Böses, so hindert ihn seine beruhigte Seele daran, es auszuführen, und hindert ihn seine befehlende Seele daran, Gutes zu tun, befiehlt ihm seine beruhigte Seele, es zu tun. Er gehorcht manchmal dieser und manchmal jener, doch behält er die Oberhand über beide. Es kann vorkommen, daß eine von beiden völlig bezwungen wird, so daß sie sich danach niemals wieder erhebt.

Als Gegenstück zu den Begierden, die ihn dazu bringen, dem Teufel und der befehlenden Seele zu gehorchen, hat Allah dem Menschen Licht, Einsicht und einen Verstand gegeben, der ihn davon abhält, den Begierden zu folgen. Sooft er mit den Begierden gehen will, rufen ihn der Verstand, die Einsicht und das Licht: Vorsicht! Vorsicht! Das Verderben und der Untergang sind vor dir; du wirst die Beute einer Bande von Räubern und Wegelagerern sein, wenn du hinter diesem Führer einhergehst.

So gehorcht er einmal dem Ratgeber, der ihm seine Besonnenheit und seinen guten Rat aufzeigt, und geht ein anderes Mal hinter dem Führer der Begierden her. Dann wird er auf dem Weg überfallen, ihm sein Geld weggenommen, seine Kleider geraubt. Er sagt: Siehst du, woher du gekommen bist?

Das Merkwürdige daran ist, daß er weiß, woher er gekom­men ist und den Weg kennt, auf dem er überfallen und ausge­raubt worden ist. Doch wollte er ihn unbedingt einschlagen, weil sein Führer Macht über ihn hat, ihn beherrscht und stärker ist als er. Er würde keine Macht über ihn haben, wenn er ihn durch seinen Widerspruch geschwächt, ihn gescholten hätte, als er ihn rief, und ihn bekämpft, als er ihn ergreifen wollte. Aber er selbst hat ihm Macht über sich gegeben und ihm die Hand gereicht.

Er ist wie jemand, der seine Hand in diejenige seines Feindes legt; dieser kümmert sich zunächst um ihn und setzt ihn hierauf harter Pein aus. Dann ruft er um Hilfe, ohne daß ihm geholfen wird. So macht er sich selbst zum Gefangenen des Teufels, seiner eigenen Begierden und seiner befehlenden Seele, um hierauf um Erlösung zu bitten, was ihm aber nicht gelingt.

Nachdem der Mensch von mancherlei heimgesucht worden ist, wird ihm Hilfe durch Soldaten, Ausrüstung und Festungen zuteil, und es wird zu ihm gesagt: Kämpfe gegen deinen Feind und strenge dich gegen ihn an! Nimm von diesen Heerscharen, so viele du willst, und diese Festungen, und verschanze dich in welcher von ihnen du willst, und gehe bis zum Tode in Stellung, denn die Angelegenheit ist nahe, und die Dauer der Stellung ist sehr kurz. Danach wirst du beim allerhöchsten König sein, der dir seine Gesandten schickte, die dich zu seinem Palast gebracht haben. Dann kannst du dich von deiner Anstrengung ausruhen, dein Feind wird von dir ferngehalten, und du kannst dich in der Wohnstätte der Gastfreundschaft frei umherbewegen, wohin du darin willst. Dein Feind aber wird unter schwerster Haft eingekerkert, während du ihm zuschauen kannst.

In das Gefängnis, in das er dich sperren wollte, ist er selbst gekommen, und die Türen sind hinter ihm verschlossen. Er verzweifelt dort an der Barmherzigkeit und der Erleichterung, während du in einer Umgebung bist, die deine Seele begehrt, und wo dein Auge beruhigt wird, als Belohnung für deine Standhaftigkeit während dieser kurzen Zeitspanne, und dafür, daß du deine Stellung in der Bresche gehalten hast, was nur eine Stunde gedauert hat, die vorübergegangen ist. Und es erscheint dir so, als ob dieses Ungemach gar nicht gewesen wäre…

Wendet sich der Mensch dem allmächtigen und erhabenen Schöpfer zu, während sich zwischen beiden der Vorhang der Begierden, der Einflüsterungen und der von ihnen eingenommenen und vollen Triebseele befindet, wie sollte es da eine Hinwendung geben, wo doch die Einflüsterungen und Gedanken seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und mit ihm auf Abwegen weit weggehen?

Wenn der Gottesdiener im Gebet steht, wird der Teufel eifersüchtig auf ihn, denn er steht an einem gewaltigen Standplatz. Einem Platz, der geeignet ist, den Teufel zu erzürnen und der für ihn am schwersten zu ertragen ist. Der Teufel ist eifrig darauf bedacht und bemüht sich äußerst, den Gottesdiener nicht an diesem Platz stehen zu lassen. Ja, er hört nicht auf, ihm Versprechungen zu machen, Wünsche in ihm zu erwecken und ihn vergessen zu lassen. Er hetzt seine Heerscharen mit Fußvolk und Reiterei auf ihn, um ihm die Bedeutung des Gebets geringfügig erscheinen zu lassen, so daß er es auf die leichte Schulter nimmt und unterläßt.

Gelingt dem Teufel dies nicht, und widersetzt sich ihm der Gottesdiener, indem er an diesem Platz stehenbleibt, macht sich Allahs, der Erhabenen, Feind an ihn heran, bis er sich zwischen dem Gottesdiener und dessen Triebseele hin- und herbewegt und zwischen ihm und seinem Herzen steht. Dann erinnert er ihn während seines Gebets an Dinge, an die der Gottesdiener vor seinem Beginn damit nicht gedacht hat. Der Teufel geht bisweilen sogar soweit, ihn an eine Sache oder Angelegenheit, die er vergessen und an die sich zu erinnern, er verzweifelt versucht hatte, während des Gebets zu erinnern, um so seinen Geist damit in Anspruch zu nehmen und von Allah, dem Allmächtigen und Erhabenen, abzulenken. Dann steht er in seinem Gebet ohne Herz und erhält nicht von Allahs, des Erhabenen, Zuwendung, Edelmut und Nähe, was derjenige erhält, der sich in seinem Gebet mit dem Herzen seinem allmächtigen und erhabenen Herrn zuwendet. Er geht hierauf von seinem Gebet so weg, wie er hineingetreten ist, mit seinen Fehltritten, Sünden und Lasten, die ihm durch das Gebet nicht erleichtert worden sind. Das Gebet läßt Sühnung der bösen Taten nur demjenigen zuteil werden, der seinen Anspruch erfüllt, es in vollkommener Demut verrichtet und mit Leib und Seele vor Allah, dem Erhabenen, steht.

Wenn ein solcher sein Gebet verrichtet hat, findet er seine Seele erleichtert, empfindet, daß ihm Lasten abgenommen sind. Dann verspürt er Tatkraft, Ruhe und Erholung, so daß er sich wünscht, das Gebet hätte kein Ende genommen, da es sein Augentrost ist, die Wonne seiner Seele, das Paradies seines Herzens und sein Ort, sich in der diesseitigen Welt zu entspannen. Er fühlt sich solange wie in einem Gefängnis und beklommen, bis er in sein Gebet eintritt. Dann erholt er sich durch es, nicht von ihm. Die Liebenden sagen: Wir beten, und so erholen wir uns durch unser Gebet, so wie ihr Führer, Vorbild und Prophet (zu seinem Gebetsrufer) sagte: „Bilal, verschaffe uns Ruhe durch das Gebet!“ Er sagte nicht: „Verschaffe uns Ruhe von ihm.“ Allahs Gesandter – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – sagte auch: „Mein Augentrost ist mir im Gebet gegeben.“ Wem der Augentrost (d. h. die Freude und Erleichterung) im Gebet gegeben ist, wie sollte er da ohne es Freude und Erleichterung finden und es ohne Gebet aushalten?

Es wird auch überliefert, daß wenn der Gottesdiener sich im Gebet hinstellt, Allah, der Allmächtige und Erhabene, sagt: „Hebt den Vorhang auf!“ Wendet sich der Betende aber um, dann sagt Er: „Laßt den Vorhang herab!“ Das Umwenden wird mit dem Abwenden des Herzens von Allah, dem Allmächtigen und Erhabenen und dem Zuwenden zu etwas anderem erklärt. Wendet sich der Betende jemandem oder etwas anderem zu, wird der Vorhang zwischen ihm und Allah herabgelassen. Dann findet der Teufel Zugang zu ihm und breitet vor ihm die Dinge der diesseitigen Welt aus und zeigt sie ihm wie in einem Spiegel. Wendet sich der Betende mit seinem Herzen aber Allah zu, ohne sich abzuwenden, dann vermag der Teufel nicht, zwischen dieses Herz und Allah, den Erhabenen, zu treten. Der Teufel findet nur Zugang, wenn der Vorhang herabgelassen wird. Flieht der Betende zu Allah, dem Erhabenen, mit gegenwärtigem Herzen, dann flieht der Teufel. Wendet er sich aber ab, dann kommt der Teufel her. So verhält es sich mit dem Gottesdiener und seinem Feind während des Gebets.“

Aus dem oben Gesagten geht hervor, daß auch ungewollte gute Einfälle zumindest während des Gebets schlecht sind. Es gibt muslimische Gelehrte, die sich auf die Läuterung der Triebseele (tazkiya) spezialisiert haben und bestimmte Übungen kennen, durch die man dahin gelangen kann, seine Gedanken zu beherrschen und ungewollte gute oder schlechte Einfälle während des Gebets und auch außerhalb davon weitgehend zu verbannen.

Der bekannte Gelehrte Ibn Qayyim al-Dschauziyya (691-751 d.H. = 1292-1350 n.Chr.) hat sich eingehend mit diesen Dingen beschäftigt und Ratschläge dazu erteilt. Die obigen Zitate stammen aus seinem Werk „Ighathat al-Lahfan“. Was er u.a. zu den ungewollten, plötzlichen Einfällen während des Gebets schreibt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber selbst „gute“ Einfälle haben während des Gebets dort nichts zu suchen, und man muß jedesmal sehr aufpassen, daß das Gebet nicht zur Routine wird.